Die Band Monosphere, 5 Männer, schwarz/weiß, in einem baufälligen Raum
Die Band Monosphere, 5 Männer, schwarz/weiß, in einem baufälligen Raum

Mit einem düsteren Mix aus gnadenlosem Progressive Metal und atmosphärischem Post Metal liefern die Mainzer mit „The Puppeteer“ zum Jahresende nochmal ein Album-Highlight für die regionale Szene. Doch auch darüber hinaus kennt man inzwischen den Namen „Monosphere“. Im Interview erzählen sie vom Konzept hinter dem Album, wieso Minimal Music dabei eine wichtige Rolle gespielt hat und weshalb sie nicht wie Heaven Shall Burn sind.


Wieso macht man 2021 noch ein Konzeptalbum?

Rodney (Drums): Für mich ist der Album-Gedanke grundsätzlich immer auch mit einem Konzept verbunden. Ich bin kein Freund davon, einfach belanglos Singles zusammen zu klatschen und das dann als Album zu verkaufen, was es ja oft genug gibt. Mein Anspruch ist es, dass ein Album mehr bieten muss; tiefer geht und durch Musik und Text eine Geschichte erzählt. Und am Ende des Tages auch erst dann wirklich abgeschlossen ist, wenn man es von Anfang bis Ende durchhört. Quasi wie eine Serie, wo du alle zehn Folgen gesehen haben musst, um sie am Schluss verstehen und bewerten zu können. Wenn du da nach drei Folgen aufhörst, ist das auch in Ordnung, aber dann wird dir immer ein gewisser Teil fehlen, um das ganze Werk zu verstehen. Und auch wenn es vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, ist es natürlich auch ein Protest-Move gegen den Spotify-getriebenen Musikmarkt. Deswegen wird das Album auch auf CD sowie Schallplatte erscheinen. Unser Album soll einen Impact haben – wenn Singles einen Impact geben, sind es meistens One-Hit-Wonder. Die großen Meilensteine in der Pop-Musikgeschichte sind fast alle Alben. Pink Floyds „The Dark Side oft he Moon“ oder „The Wall“: Da weiß jeder, dass es monumentale Werke sind und sie was bewegt haben. Ich glaube als Meilenstein ist ein Konzeptalbum auch im Jahr 2021 noch super relevant. Spotify und Social Media sind so kurzlebig, da erinnert man sich viel eher an ein Album als an eine Single. Es war mir wichtig, etwas zu hinterlassen, was einen größeren Mehrwert hat als einfach nur eine Ansammlung von ein paar Songs.

Und trotzdem habt ihr vorher schon einzelne Lieder aus dem Album als Singles veröffentlicht. Würdet ihr sagen, dass die dann trotzdem funktionieren, obwohl der Kontext das Albums fehlt? Und wie verhält sich das mit euren Musikvideos?

Marlon (Bass): Ja, das war am Anfang für uns eine gewisse Schwierigkeit, weil das aus marketingtechnischen Gründen natürlich sinnvoll ist, wenn man am Ende nicht nur zehn Leute haben will, die sich für das Album interessieren. Deswegen haben wir dann ein paar Singles vorher ausgekoppelt. Natürlich kann man darüber streiten, ob die Singles jetzt auch so funktionieren wie so Pop-Singles, aber das ist ja eh nicht unser Anspruch oder Bestandteil unserer Musik. Und zu den Videos: Da haben wir uns natürlich bemüht, dass die auch zu der Musik passen. Auch von der lyrischen Ebene aus, die ja von Kevin (Vocals) kam. Zum Beispiel das mit den Seilen und dem Stacheldraht im Video zu „The Marionette“. Dort findet dann also auch nochmal eine visuelle Auseinandersetzung mit unserer Musik statt.

Rodney: Im Grunde genommen ist jedes Medium Teil des Gesamtkonzepts: die Musik, die Videos, der Instagram-Kanal… Das ist eigentlich nur dann schlüssig, wenn man alles in Betracht zieht. Aber wir sagen jetzt nicht, dass man dieses Album verstehen oder die Videos sehen muss. Es ist eher ein Zusatzangebot, wo man eben sehen kann, wie wir das Musikalische und das Textliche nochmal auf eine andere Ebene heben, um das Konzept zu bestärken. Und natürlich ist da auch ein gewisser Interpretationsspielraum drin. Wenn da jemand eine andere schlüssige Geschichte drin sieht, ist das das Beste, was passieren kann. Uns geht es nicht darum zu sagen, dass man das auf eine bestimmte Weise zu deuten hat. Wir können nur liefern, was wir uns dabei gedacht haben. Wenn das abweicht von dem, was andere darin sehen, ist das ja eigentlich was Gutes, weil wir dann bei diesen Leuten eine gewisse Kreativität wecken konnten.

Das klingt relativ offen – nicht jede Band ist das. Du, Rodney, hast ja sogar eine ganze wissenschaftliche Arbeit begleitend zum Album verfasst, in der du Zusammenhänge und künstlerische Parameter und Referenzen für Interessierte aufzeigst. Viele Künstler:innen lehnen es grundsätzlich ab, ihre Kunst zu erklären. Ihr hingegen schafft extra Angebote, um die Geschichte dahinter zu erklären. Wie ist das denn innerhalb eurer Band? Obwohl das Album ja zweigeteilt ist in die beiden verschiedenen Perspektiven, ist es am Ende ja zum Beispiel nicht ganz klar, ob der Protagonist/die Protagonistin fremdgesteuert war oder eben nicht. Habt ihr alle die selben Antworten auf diese offenen Interpretationsfragen?

Rodney: Ich glaube, allein weil ich die Musik geschrieben habe und eben nicht die Story, die dann wiederum darauf entstanden ist, habe ich schon einen anderen Subtext für das Album. Für mich ist es klar, wie es ausgeht. Aber sicherlich ist das nicht immer im Konsens mit dem, was Kevin sich gedacht hat. Wohlwissend auch, dass es halt auch eigentlich noch einen dritten Teil gibt, der einfach noch nicht fertig geschrieben ist. Das war einfach alles ein Prozess, der nie aufgehört hätte, hätten wir nicht von selbst eine Deadline gesetzt und gesagt: Jetzt ist es fertig. Also Motive nochmal neu verwenden, Songs mit harmonischen Strukturen verknüpfen und so weiter. Ich hatte auch Pläne, an noch mehr Songs zu basteln. Aber irgendwann musste Schluss sein, damit wir auch mal fertig werden. Dann später im Recording-Prozess haben wir gemeinsam und mit unserem Produzenten Phil Kaase (The Mixing Mine) auch nochmal viel hin- und her geschoben und an klanglichen Details gearbeitet. Auch da mussten wir uns wieder bremsen. Dieser ganze Prozess hätte noch ewig so weitergehen können – und ob es dabei besser geworden wäre, wage ich zu bezweifeln. Das Album ist für mich so eine Art Momentaufnahme. Wie ein Foto: Es geht nicht darum, dass es perfekt ist. Es ist egal, ob das Bild ein bisschen überblendet oder zu dunkel ist. Es spiegelt die momentane Emotion wider. Ich glaube nach 2,5 Jahren hat uns diese Deadline gut getan. Aber natürlich haben wir immer noch Ideen und ich lasse mir diese Option auch einfach offen, das irgendwann noch zu vollenden. Wie bei Inception: Es fehlt noch die Auflösung am Ende, es ist noch nicht ganz auserzählt. Ist der Kreisel am Ende umgefallen oder nicht? Das hat auch etwas Mystisches, das gibt nochmal etwas Spannung. Wenn du am Ende eines Films ein Happy End hast, gehst du natürlich mit einem guten Gefühl aus dem Kino, aber denkst du dann noch darüber nach? Ich finde dieses Hinterfragen hat einfach einen gewissen Reiz.

 

Jetzt haben wir viel über das Konzept und den Schreibprozess geredet. Um mal zur Musik an sich zu kommen: Das ist ja ein ziemlich monumentaler Mix aus progressiven und atmosphärischen Metal-Klängen, den ihr da liefert. Ihr werdet mit Bands wie Between The Buried And Me verglichen; als Referenzen nennt ihr aber neben Metalcore, Post Rock, Black Metal und Technical Death Metal auch viel aus der klassischen Richtung, zum Beispiel Neoklassizismus. Über einen Begriff bin ich dann aber doch gestolpert: Minimal Music. Bei Eingängigkeit im Metal denke ich erstmal an tanzbare Breakdowns oder melodische Hooks, was man ja beides bei euch nicht unbedingt im Überfluss findet. Was bedeutet Eingängigkeit für euch?

Rodney: Ja, bei der klassischen Musik sind das neben der avantgardistischen Idee von Schönberg vor allem Komponisten der Minimal Music, also Philip Glass, Steve Reich oder Terry Riley. Die haben mich eben in den repetitiven Songstrukturen oder der ganzen komplexen Rhythmik beeinflusst. Und auch ein bisschen dieser Klang; dieses Experimentelle und Avantgardistische aus den 60er Jahren. Zum Beispiel auch von Bernd Alois Zimmermann, der meiner Meinung nach damals Sachen gemacht hat, die viel progressiver sind als alles, was sich heutzutage progressiv nennt. Denn eigentlich wiederholen wir in der progressiven Musik auch nur das, was wir als progressiv ansehen und das kann ja eigentlich nicht progressiv sein. Das Problem ist, dass wir einen festen Sound haben, den wir mit progressiver Musik verbinden. Aber spätestens in den 70er Jahren war dieser Sound dann auch festgefahren. Jede Band, die heute sagt, sie macht Progressive Rock klingt entweder nach Pink Floyd, King Crimson oder eben einer anderen dieser Bands. Wirklich progressiv ist es aber nicht, dieser Avantgardismus, neue Dinge zu erschaffen, ist heute viel schwieriger. Und dieses Öffnen und Dehnen der Genregrenzen in der klassischen Musik – vielmehr als im Metal – finde ich eben so inspirierend. Metalbands bedienen sich vielleicht mal an Elementen aus anderen Genres, aber sie versuchen nicht, die musikalische Sprache grundlegend zu ändern. Die sind, wie wir eigentlich auch, letzten Endes in einem sehr beschränkten Rahmen.

Marlon: Und Eingängigkeit findet sich bei uns eben in den hypnotisierenden und sich wiederholenden Momenten.

Rodney: Genau, dieser Drive durch die sich wiederholenden Elemente und Strukturen. Es gibt wenige cuts, die einen rausbringen könnten. Unsere Musik soll einen durch ihren Flow tragen, ohne dass man dabei stolpert. Es passiert einfach immer irgendwas und wir haben auch nur einen einzigen Tempowechsel auf dem Album. Die Songübergänge sind gebunden und auch die beiden Aufteilungen, aus denen das Album besteht, haben wir letzten Ende mit unserem Produzenten Phil doch nicht mit einem zweisekündigen Break voneinander getrennt, sondern mit so einem Wabern miteinander verbunden. Es ist aus meiner Perspektive sehr glattgebügelt, die connections untereinander sind da, sodass das Album von vorne bis hinten durchläuft. Und da hast du dann auch so eine gewisse Eingängigkeit. Trotzdem ist unsere Musik natürlich zu experimentell, um sie als „catchy“ zu beschreiben.

Eure Bandgeschichte ist geprägt von Progressive Deathcore (Lost Without Direction) und Melodic Hardcore. Für euer Album habt ihr jetzt also einen finalen, reifen Sound gefunden. Wie wird das dann alles musikalisch auf der Bühne bei den Live-Shows aussehen?

Rodney: Also ich habe hier potentiell ein Synthesizer mit 88 Tasten stehen und habe auch schon überlegt, das Interlude live zu spielen, was ich an sich cool fände, aber ich glaube im Moment ist das logistisch einfach noch zu stressig. Als ich das Album geschrieben habe, war ich mir auch nicht sicher, ob ich das generell spielen kann. Wir haben auch zwei Bandmitglieder verloren, als wir gesagt haben, dass wir das mit dem Album durchziehen.

Marlon: Ja, das wär schon echt cool, wenn zum Beispiel Kevin noch was am Keyboard machen würde. Ich muss da immer an The Ocean denken, die ja den Großteil selbst machen. Bei uns ist das zurzeit nicht der Fall. Wir lassen natürlich ein paar Sachen vom Band kommen, vor allem die atmosphärischen Sachen eben. Ich denke aber, dass wir uns da in Zukunft noch weiter entwickeln können. Auch zu diesem festen Sound nochmal: Ich würde das nicht so sagen, das ist schon auch einfach ein ewiger Prozess. Gerade weil wir ja auch nochmal zwei Mitglieder neu in die Band bekommen haben, als das Album schon fertig war. Ich kann mir schon vorstellen, dass wir uns in naher Zukunft noch in einer gewissen Richtung festigen werden. Aber da steht noch nichts, wir wollten auch einfach abwarten, wie die Resonanz jetzt generell ist.

Rodney: Ja, so ein bisschen sehen, welche Momente hängenbleiben und was bei den Leuten nicht so ankommt. Und daraus dann auch zu lernen. Das ist alles ein Prozess, wir sind alle unter 30 und wenn wir jetzt sagen würden „das ist jetzt unser Sound und den ziehen wir jetzt 20 Jahre durch“, würden wir Heaven Shall Burn heißen. Dann würden wir vielleicht erfolgreich werden, aber es wäre auch irgendwo super langweilig. Wir haben in letzter Zeit sehr viel ausprobiert und ich glaube wir haben alle ein relativ breites und offenes musikalisches Spektrum mit Quellen zum Schöpfen. Ich bin super gespannt, wie unsere Musik in Zukunft klingen wird.