Pit (VOLUME Magazine) und Jojo (Sperling) auf der Hallenbühne beim Nonstock Festival im Odenwald
Pit (VOLUME Magazine) und Jojo (Sperling) auf der Hallenbühne beim Nonstock Festival im Odenwald

Sperling machen Post Hardcore mit Cello und deutschsprachigem Sprechgesang. In diesem musikalischen Mix verarbeiten Sperling mentale Rückschläge und singen über Zweifel und Ängste. Musikalisch und textlich erinnert das an Heisskalt, Fjørt, Casper, OK Kid oder Fabian Römer, doch schafft die Band dabei einen noch nicht gekannten Querschnitt. Produziert wird das Ganze von Beray Habip, der auf dem Nonstock Festival auch als Drummer der Band Kochkraft durch KMA zu sehen ist. Vor ihrem Auftritt als co-Headliner treffe ich Sperling-Sänger Jojo und Gitarristen Malte auf der Hallenbühne in einem Heuschuppen voller Sofas und Lampen…


Hey Sperling! Ihr kommt aus dem Hunsrück, einer ländlichen Gegend zwischen Koblenz und Mainz. Wo spielt man da so Konzerte?

Jojo (Vocals/Bass): Also im Hunsrück spielt man wahrscheinlich hauptsächlich auf Kirmessen. Aber ne, an Locations in den näheren Städten gibt es zum Beispiel den Circus Maximus in Koblenz oder das Schon Schön in Mainz. Aber im tiefsten Hunsrück gibt es manchmal so spezielle Veranstaltungen. Zum Beispiel haben wir bei der NeonNacht gespielt, wo viel Neonkunst und Skulpturen in Schwarzlicht ausgestellt werden. Da haben wir auf der Waldbühne gespielt. Ansonsten gibt es auch immer ein paar Veranstaltungen in Eigeninitiative. Und es gibt das Lott-Festival bei uns in der Nähe, vielleicht kennt das der ein oder andere. Ansonsten geht tatsächlich relativ wenig. Inzwischen wohnen wir alle in Mannheim.

Malte (Gitarre): Es lässt sich aber auch immer gern eine Scheune finden, wo man dann noch ‘ne Kuh bei Seite schieben kann. Dann ist da noch Platz für uns.

 

Also quasi wie beim Nonstock.

Malte: Genau.

 

Euer Debutalbum „Zweifel“ habt ihr während einer besonders harten Phase der Corona-Pandemie rausgebracht. Wie ist es, das jetzt endlich live spielen zu können? Ihr habt ja auch hier beim Trebur Open Air zwischen Darmstadt und Mainz gespielt und seid generell recht viel unterwegs.

Jojo: Es ist voll geil. Die Corona-Zeit hat uns natürlich ein bisschen zurückgeworfen, so wie alle anderen auch. Das hat unseren Zeitplan komplett auseinandergebracht. In der Zeit haben wir eben unser Album geschrieben, das sollte eigentlich über ein halbes Jahr früher kommen. Das war für uns aber okay, weil wir so im Hintergrund und organisatorisch noch ein bisschen was machen konnten und ein bisschen mehr Zeit für alles hatten. Was aber super schade war: Wir konnten nach dem Release keine Tour zu dem Album spielen. Das ist ja normalerweise so der logische Schritt, dann das Album auch unter die Leute zu bringen und die Songs auch live zu zeigen. Das ist halt alles ins Wasser gefallen und auch nachfolgende Shows und nachfolgende Touren mussten verschoben werden. Aber jetzt ist es supergeil wieder live zu spielen. Es war relativ schnell so, dass wir wieder in diesem Festival-Feeling drin waren. Und glaube ich spätestens seit diesem Jahr war es auch wieder so, als wäre irgendwie nie etwas passiert. Aber es macht mega Bock! Wie du schon gesagt hast: Wir haben jetzt schon ein paar Festivals hinter uns und es fühlt sich einfach wieder sofort nach Festival-Leben an.

 

Wie lange habt ihr denn jetzt an dem Album insgesamt gearbeitet? Wenn man so viel mehr Zeit hat als geplant, kommt es ja auch mal vor, dass man vielleicht nochmal an Songs rumschraubt, die man eigentlich schon fertig hatte. War das bei euch auch der Fall oder wie war da euer Prozess?

Malte: Das ist schwer zu sagen. Uns gibt es seit 2013/2014 und das erste Album kam 2021. Das sind also ein paar Jahre, die wir überhaupt gebraucht haben, um überhaupt rauszufinden, wie diese Band klingen soll und wo wir hinwollen. Und demnach gab es halt auch viele Songs, an denen diese komplette Zeit über geschrieben wurde. Aber auch super viel Zeug, was über den Haufen geworfen wurde. Ich erinnere mich auch an unseren Song „Bleibt“, der erst einen Monat vor unserem Studiobesuch geschrieben wurde. Deswegen lässt sich da gar nicht so genau sagen, wie lange wir am Album konkret geschrieben haben, weil halt so super viel auch überworfen und überdacht wurde. Aber wenn wir sagen, wir haben sieben Jahre an diesem Album geschrieben, dann klingt das natürlich nach einem Album, das man unbedingt kaufen muss. Deswegen: Ja, wir haben sieben Jahre an „Zweifel“ geschrieben.

Jojo: Sehr viel entsteht auch nochmal im Studio selbst. Man geht mit Ideen ins Studio und in dieser Studiozeit, die vielleicht ein oder zwei Wochen lang ist, wird dann auch viel noch erst fertig.

Was war für euch bei der Album-Promo denn die Alternative, um Leute zu erreichen, die euch noch nicht kennen?

Malte: Als Newcomer-Band ist ja immer das Problem, dass man irgendwie die Szene erreichen oder den Ort finden muss, an dem sich der Kern der Leute wiederfindet, der deine Musik hört. Wenn kein Corona gewesen wäre, dann wäre es für uns natürlich offensichtlich gewesen, auf eine Heisskalt- oder Casper-Show zu fahren und im Foyer unsere Aufkleber und Flyer zu verteilen. Jetzt war halt das Problem: Wie erreichen wir diese Leute, die sich sonst auf einer Heisskalt-Show oder im Schlachthof in Wiesbaden aufhalten? Wo finden wir die im Internet? Das war so die Herausforderung für alle, die in dieser Zeit Musik releast haben oder ein Musikprojekt hochzuziehen wollten.

Jojo: An Konzert-Alternativen konnten wir online ein bisschen was machen. Wir hatten zum Beispiel eine Online-Live-Show und auch ein Autokonzert. Es gab also schon ein paar Alternativen, aber so richtig ersetzt hat es das natürlich nicht.

 

Ich glaube, das war halt vor allem eine Option für diese Zeit, damit es irgendwie weitergehen kann. Aber es kommt natürlich nicht an ein echtes Live-Erlebnis ran, bei dem alle gleichzeitig vor Ort sind und gemeinsam diese Zeit zusammen erleben. Hattet ihr denn jetzt sowas wie eine Release-Show?

Malte: Nope. Aber…

Jojo: Aber…

 

Aber?

Malte: Wir spielen am 30.12. in unserer Hometown Koblenz im Circus Maximus ein Jahresabschlusskonzert mit unseren lieben Freunden Shoreline. Das wird glaube ich so unser Substitut für diese Release-Show.

Jojo: Ja, voll. Es wird super super cool. Wir haben auch zwei DJs mitgenommen, die danach noch fett Aftershow-Party machen. Es ersetzt quasi alle Shows, die wir dieses oder letztes Jahr nicht spielen durften.

„Die meisten Vögel ziehen über den Winter in wärmere Gefilde. Der Sperling jedoch bleibt und harrt aus, bis es wieder wärmer wird.“ So beschreibt ihr euren Bandnamen. Eure melancholischen Texte behandeln teilweise echt harte Kost. Wie ist es, sowas Intimes und Persönliches mit so vielen Menschen zu teilen? Kostet das nicht voll die Überwindung?

Jojo: Am Anfang glaube ich schon. Aber nicht alle unsere Songs spiegeln mein tiefstes persönliches Herz wider. Oft sind es auch einfach Dinge, die mich, aber eben auch andere, beschäftigen. Deswegen finde ich es wichtig, das nach draußen zu bringen, damit andere merken, dass sie auch verstanden werden. Der Song „Mond“ ist sehr persönlich und handelt von einer Beziehung, die kaputt gegangen ist. Das ist mein persönlicher Lieblingssong vom Album, weil er am traurigsten ist. Da ist es mir tatsächlich relativ schwer gefallen, den nicht einfach für mich zu behalten. Aber ich glaube, dass das für jeden etwas bringen kann, weil es mir ja genauso geht: Wenn ich Musik höre, die das widerspiegelt, was gerade bei mir los ist oder was mich eben beschäftigt, ist es für mich super cool, das in Worte gefasst zu haben. Das hilft mir dabei, mich selbst zu sortieren.

 

Ihr habt ausschließlich Texte auf Deutsch? Schreibst du auch mal Texte auf Englisch?

Jojo: Ja, also ich hab`s probiert. Ich bin ein riesengroßer Eminem-Fan und als ich vor etwa zehn Jahren angefangen habe zu rappen, habe ich dann auch Texte geschrieben. Das hat aber weder gut funktioniert, noch wollte das irgendjemand hören haha. Deswegen bin ich lieber in meiner Muttersprache geblieben.

Wer hat denn in Deutschland die besten deutschen Texte? Also auch abseits der Post-Hardcore-Szene.

Jojo: Also ich persönlich bin sehr, sehr großer Fan von Fabian Römer, FR hieß der früher. Ich finde der schreibt unfassbar gute Texte. Lance Butters hat auch sehr geile und besondere Texte. Bei ihm geht es auch viel um Melancholie, Depressionen und das Abfucken der Welt. Das fasst er sehr gut zusammen. Casper schreibt natürlich auch super gute Texte. Die drei sind glaube ich meine Favoriten.

Malte: Bei Lance bin ich auf jeden Fall am Start, Fabian Römer auch. Bei Casper habe ich manchmal so Punkte, wo ich anecke, aber trotzdem fairer Punkt auf jeden Fall. Generell ist Deutsch halt auch einfach eine erbarmungslos Sprache zum Schreiben. Ich bin froh, dass ich nur traurige Noten spielen muss.

 

Im Post-Hardcore-Bereich sind vielleicht vor allem Fjørt und Heisskalt hervorzuheben. Habt ihr eine Lieblings-Schaffensphase von Heisskalt?

Jojo: Bei mir ist es auf jeden Fall das Album „Vom Stehen und Fallen“. Das hat mich komplett gekriegt, von vorne bis hinten; danach die Alben nur vereinzelt. Da waren zwar auch Songs dabei, die mich richtig abgeholt haben, aber was „Vom Stehen und Fallen“ mit mir gemacht hat, hat danach kein anderes Album von Heisskalt mehr geschafft.

Malte: Für mich sind das erste Album „Vom Stehen und Fallen“ und das dritte Album „Idylle“ die krassesten Heisskalt-Alben, weil sie eben was Neues gemacht haben. Beim ersten Album fand ich besonders „So leicht“ unfassbar krank, und beim dritten Album „Bürgerliche Herkunft“ und der Titeltrack „Idylle“ selbst – wunderschön!

Wie ist denn generell die Gewichtung bei euch, was den musikalischen Einfluss von Gitarrenmusik und Rap angeht?

Jojo: Ich glaube, die ist davon geprägt, dass wir alle aus verschiedenen Richtungen kommen und schon einfach Kumpels waren, bevor wir zusammen Musiker sein wollten. Deswegen hat jeder auch verschiedene Einflüsse. Ich komme zum Beispiel sehr aus dem HipHop-Bereich, Malte mehr aus dem Post Punk. Luca, unser Cellist, kommt eher aus dem klassischen Bereich und unser Drummer Josh ist im Post Hardcore und Pop unterwegs. So entsteht dieser Mix. Und natürlich werden wir von ganz vielen verschiedenen Musikern beeinflusst. Einfach durch die Mucke, die man hört und auch die Inspiration, die man sich dabei herausnimmt. Aber wir setzen uns jetzt nicht hin und sagen: Wir würden gerne genau so klingen wie die klingen. Das ist einfach ein Prozess, der entsteht.

Malte: Ich glaube, die Parallele, die viele zu Fjørt und Heisskalt bei unserer Musik ziehen, ist, weil es deutsch ist und die Texte ein bisschen eckig sind…

 

Ich finde es ist aber auch die Stimmung und die Atmosphäre.

Malte: Genau. Aber ich glaube, das kommt viel mehr davon, dass die Bands, die Heisskalt beeinflusst haben oder halt auch Fjørt oder so, auch uns sehr beeinflussen. Wie Brand New und so Zeug zum Beispiel. Das ist halt voll die Musik, wo ich herkomme und ich glaube, daher ist diese Parallele von vornherein gegeben.

Noch eine Publikumsfrage: Nach dem Austritt eures Bassisten Max spielst ja nun du, Jojo, den Bass in eurer Band – zusätzlich zum Gesang. Was macht das für dich auf der Bühne für einen Unterschied?

 Jojo: Es macht super viel Spaß. Ich finde, man lernt die eigenen Songs noch mal ganz anders kennen, wenn man als Instrumentalist mitspielt, anstatt sie nur als Sänger zu singen. Es ist natürlich eine Umstellung auf der Bühne, weil ich eigentlich beim Rappen/Singen immer sehr viel gestikuliert habe. Das fehlt jetzt natürlich. Außerdem ist Bass spielen für mich immer sehr steady, sehr straight. Das ist eine große Diskrepanz zum Singen, was irgendwie freier ist. Es hat natürlich schon seine Zeit gebraucht die Songs zu lernen und sich daran zu gewöhnen. Aber als es dann nach ein/zwei Monaten funktioniert hat und wir zum ersten Mal live so gespielt haben, hat es sich für mich von vornerein sehr, sehr gut angefühlt.

Credit Bilder: Silas Bug