Nikra schaut in schwarzem Mantel und mit schwarzen Haaren und Nagellack auf rotem HIntergrund und roten Handschuhen von unten in die Kamera hoch
Nikra schaut in schwarzem Mantel und mit schwarzen Haaren und Nagellack auf rotem HIntergrund und roten Handschuhen von unten in die Kamera hoch

Nikra baut mit ihrem facettenreichen Indierock eine Brücke zwischen Punk-Attitüde und künstlerischer Tiefe. Ihre Texte sind poetisch und ehrlich, der Sound reicht von ruhiger Klavierbegleitung bis hin zu lauten, schnellen Punknummern. Ende des Jahres geht Nikra mit Sperling auf Tour. Im Interview spricht sie über Haltung in der Kunst, Feigenblätter und eine Kunstausstellung speziell für einen Song.


Letzten Monat kam deine zweite EP „bis ich in meinem kopf ersaufe“ raus. Wie sah der Arbeitsprozess dazu aus und was hat sich in der Zeit zur ersten EP von 2022 verändert?

Nikra: Die erste EP ist während Corona entstanden und ich hab‘ erstmal „irgendwie drauf los“ gemacht, einfach weil ich in dem Moment Bock drauf hatte. Es war aber noch viel ausprobieren. Ich glaube, man wusste da noch nicht so genau, wo es eigentlich musikalisch hingehen sollte. Bei der zweiten EP wollte ich dann vor allem sehr ehrliche Texte schreiben und Sachen festhalten, die mich wirklich bewegen. Das ist etwas, was sich sehr verfestigt hat in mir: die Dringlichkeit, wirklich was zu sagen. Eine weitere Sache ist die Konsequenz, zu der Musik zu stehen, die ich gerne mache. Da wo ich herkomme, aus Mannheim, gibt es sehr sehr viele Musiker:innen, die natürlich auch ganz viel andere Musik machen als ich. Da denkt man schnell: „Krass, was die alle machen“ und „Könnte ich nicht vielleicht auch sowas oder jenes machen?“. Manchmal muss man sich da selbst setteln und vor Augen führen, dass das zwar cool für die anderen, aber eben nicht der eigene Weg ist. Und eine dritte Sache seit der ersten EP ist wahrscheinlich der Hang, minimalistischer zu denken, was die Musik angeht. Also sich zu fragen, was wirklich essenziell für die Musik ist. Was brauche ich jetzt tatsächlich und was ist nur Schnickschnack, der aber eigentlich keine Aussagekraft hat? Die ersten Songs der EP sind im Frühjahr 2022 entstanden, im anschließenden Winter waren wir dann im Studio. Und nachdem wir uns 2023 sehr viel Zeit gelassen hatten, kam dann im Spätsommer die erste Single raus und Mitte März 2024 die ganze EP. Ich bin ganz froh, dass das jetzt endlich alles raus ist, dann ist auch wieder Platz für Neues.

Du sagst „wir“. Ist Nikra die Band oder bist du das als Einzelkünstlerin?

Nikra ist quasi die Überschrift für mein künstlerisches Schaffen – in welche Ecken das dann auch immer abdriftet. Aber obwohl es mein Künstlername ist, sage ich „wir“, weil ich das alles natürlich nicht alleine mache. Da sind noch ganz viele andere Menschen beteiligt; neben der Band etwa mein Management, die Leute die Fotos und Videos machen und so weiter. Am Ende sind wir eine gemeinsame Gruppe. Und Kreativität findet ja auch selten in einem Vakuum statt. Kunst ist etwas, was man miteinander teilt und deswegen sage ich da auch „wir“ zu. Nikra ist 2021 entstanden, aber wurde dann durch Corona und andere Sachen etwas gebremst. So ein Entwicklungsprozess braucht natürlich auch immer Zeit. Ich habe mich dann aber trotzdem dazu entschieden, die Musik damals schon zu veröffentlichen. Und als Corona so langsam auslief, haben wir angefangen, auch Konzerte zu spielen. Letztes Jahr waren das etwa 40 Shows und dieses Jahr werden es ca. wieder so viele sein. Gerade waren wir zum Beispiel auf ein paar Konzerten von Jack Pott dabei und im Oktober begleiten wir Sperling bei ihrer Tour. Zu dem Queerfest mit Kochkraft mit KMA, dem „Ab geht die Lutzi!“-Festival und dem Open Flair kommen auch noch ein paar andere coole Festivals diesen Sommer dazu. Und es ist auch sehr schön, dass es so Veranstaltungen sind, wo das Zielpublikum das richtige ist, wie neulich im P8 in Karlsruhe beim Fest zum internationalen queerfeministischen Kampftag oder jetzt am 1. Mai-Fest vom Kulturzentrum Faust in Hannover. Das ist natürlich was anderes als um 16 Uhr auf irgendeinem Stadtfest zu spielen…

Mal zu deiner Musik: Du hast einen sehr vielfältigen Stimmeinsatz (u.a. zu hören im Song „hund“) und das alles auf einen grundlegend punkig beeinflussten Sound. Aber auch Streicher oder Piano kommen vor und neben Songs zum Mitsingen, die nach vorne gehen, hast du auch sehr künstlerisch sensible Songs. Wenn deine Oma dich jetzt fragt, was du für Musik machst, was antwortest du da?

Irgendwas mit Punk. Gitarrengetriebene Rockmusik, mit dem, was ich zu sagen habe. Ich finde es tatsächlich aber auch immer wieder schwierig. Die Punks sagen dann: „Nee das ist nicht genug Punk“ und dann sagt meine Mutter: „Das ist aber schon sehr punkig“. Man kann es nie irgendjemanden recht machen, es beschwert sich immer jemand. Im Punk-, Hardcore- und Metalbereich sind immer alle so übel kleinkariert von wegen „was ist es denn jetzt am Ende wirklich?“ Scheiss‘ da doch drauf. Entweder es gefällt dir oder es gefällt dir nicht und dann hörst du es oder halt nicht.

Deine poetischen Texte auf Deutsch erinnern mich manchmal an Heisskalt („vom fliegen und fallen“, „zeitgeist“) oder an FJØRT mit ihren verdrehten Sprichwörtern („Ich denk‘ mir die Schädeldecke wund“). Besagter Titel „hund“ ist auch sieben Minuten lang und super artsy. Bei „wer hat diesen körper designt?“ bekomme ich auch jedes Mal Gänsehaut. Für diesen Song hast du sogar eine eigene Kunstausstellung gemacht. Was hatte es damit auf sich?

Auch wenn „wer hat diesen körper designt?“ natürlich ein sehr unpoppiger Song ist, sollte es auf jeden Fall eine Single werden. Der Titel ist sehr nah an mir gebaut und ist dementsprechend besonders wichtig für mich. Auch live finde ich es immer sehr krass den zu spielen. Die erste Idee war, ein Musikvideo dazu zu machen. Allerdings ist das am Ende auch wieder etwas, bei dem man mit einem fertigen Ergebnis konfrontiert wird, man ist aber selber nicht so drin. Der Song sollte einen aber auch auf persönlicher Ebene erreichen. Deswegen kamen wir auf die Idee mit der Ausstellung. Ich habe die ganzen Installationen selbst vorbereitet und in Kooperation mit dem zeitraumexit in Mannheim wurde es dann umgesetzt. Das interaktive Konzept bestand darin, dass die Besucher:innen durch verschiedene Stationen gegangen sind und sich immer mit anderen Fragen zum übergeordneten Thema „Körper“ auseinandersetzen mussten. Zum Beispiel gab es Stationen über Eitelkeit, über das Selbstbild, über das Spiegelbild oder auch über Tierrecht. Also ob Tiere ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben mit der Brücke zu den Fragen „Was führen wir unserem eigenen Körper zu? Was tun wir anderen Körpern an?“ Außerdem gab es Teile aus der Community. Ich hatte vorher ausgeschrieben, dass man blind ein Selbstbild von sich malen kann. Das haben dann Leute eingeschickt und daraus habe ich eine Wandcollage gemacht. Dazu kam, dass Menschen in der Ausstellung blind ebenfalls Selbstbilder von sich malen und dazu hängen konnten. So ist eine wachsende Installation entstanden. Zum Thema „Eitelkeit“ hatten wir eine Station, bei der ein leeres Glas und ein Glas mit blauer Flüssigkeit standen. Die Aufgabe war dann, das eine Glas so viel zu füllen, für wie eitel man sich hält und den entsprechenden Wasserstand zu markieren. Das hat einen vor diese direkte Frage gestellt und man musste sich dazu festlegen. Parallel zu alldem ist im Laufe der Ausstellung irgendwann das Licht ausgegangen und man konnte nur noch die beleuchteten Fragen zum Thema „Körper“ sehen. Dazu wurde dann der Song abgespielt, was bedeutet hat, dass man zumindest über die Länge des Songs hinweg sich nochmal ausschließlich mit diesen Fragen beschäftigen musste. Ich glaube, insgesamt war das schon sehr wirksam für die Menschen, die die Ausstellung besucht haben.

Die Ausstellung habt ihr selbst gebaut und auch sonst ist Vieles bei euch DIY – sei es die Distribution der neuen EP per DM auf Instagram oder die ganzen Designs auf Merch, den Logos usw. Dazu kommen die gesellschaftskritischen Texte, die Ansagen bei Shows und das Umfeld, in dem ihr live spielt. Wie wichtig ist dir Politik in deiner Kunst und wie wohl fühlst du dich als queere FLINTA*-Person aktuell in der Szene?

Ich glaube, man kann nicht mehr keine Haltung einnehmen. Also allgemein gesprochen, aber als Künstler:in nochmal besonders. Wenn man Kunst als Ausdruck der Persönlichkeit sieht, dann gehört da eine Haltung rein. Und wenn man sich dieser Haltung entzieht, löst dieses Schweigen trotzdem etwas aus – man nimmt also in zweiter Instanz trotzdem wieder eine gewisse Haltung ein. Und „Haltung“ bedeutet ja auch nicht, dass man nur Paroli-Songs schreiben muss. Aber man sollte schon hinterfragen, für was man steht und für was man stehen will. Und als queere FLINTA*-Person kannst du auch gar nicht nicht politisch sein, weil alles um einen herum dich schon politisiert. Man ist einfach im Zentrum des politischen Gesprächsthemas. Bands und Festivals haben bei der Thematik mittlerweile ein gewisses Feingefühl entwickelt und ich glaube, viele Schritte werden da gerade in die richtige Richtung gemacht. Aber es ist trotzdem noch eine Besonderheit, wenn auch nur eine weiblich gelesene Person auf der Bühne steht – und da ist dann oft noch keine andere Form von Intersektionalität vertreten. Das ist oft wie so ein Feigenblatt, das vor die Veranstaltung gestellt wird – zum Beispiel, wenn die Broilers als einzige Band mit einer Frau spielen. Dasselbe auch bei Agenturen. Auf der anderen Seite: Es gibt so viele Versperrungen auf diesem Weg und wenn da an irgendeiner Stelle mal etwas weggeräumt wird, dann kann man das auch mal annehmen. Aber es ist natürlich immer mein Wunsch, dass die Leute mich booken, weil sie die Musik cool finden oder mich cool finden. Und bei sehr vielen Konzerten, die wir dieses Jahr gespielt haben, hatte ich auch das Gefühl, dass es etwas ganz Wertschätzendes und Warmes hatte und dass diese ganze Infrastruktur, auch um die Festivals herum, sich immer mehr öffnet und durchmischt.

Bild: © Sandra Ludewig