ELL - Alternative Rock aus Odenwald/Chemnitz
ELL - Alternative Rock aus Odenwald/Chemnitz

ELL haben einen facettenreichen und vollen Live-Sound – obwohl sie nur zu zweit auf der Bühne stehen. Das „Krachpop-Duo“ schreibt Songs über Body Positivity, Klima- und Gendergerechtigkeit und spielte schon zusammen mit Bands wie Kind Kaputt, Kochkraft durch KMA oder Jackpott. Im Interview spricht die Band unter anderem darüber, wieso sie ihr neues Album „langweilig“ erstmal nur analog und nicht auf Spotify & Co. veröffentlichen.


Ursprünglich kommt eure Band aus Lindenfels im Odenwald und man kennt euch auch von Odenwälder Festivals wie dem Nonstock Festival oder dem Burning Down Fischbachtal Festival. Lebt ihr auch hier?

Lisa-Anna (Bass, Vocals): Wir haben bis vor kurzem beide in Lindenfels gelebt. Lennart ist dort aufgewachsen, ich ein paar Dörfer weiter in Mörlenbach. Wir sind zwar noch regelmäßig dort, sind aber dieses Jahr nach Chemnitz gezogen. Das Netzwerken fällt einfach schwer in ländlichen Gebieten. Hier in Chemnitz gibt es super viele Anknüpfungspunkte, wo wir als Band hingehen können um uns zu vernetzen. Zum Beispiel das „Bandbüro“, was dort die lokale Musikszene unterstützt und bei dem wir auch einen Proberaum haben. Wie krass wäre es gewesen, hätten wir das schon mit 16 gehabt? Wenn es im Odenwald für uns schon früh eine Anlaufstelle gegeben hätte, wo wir mit anderen Musik- oder Kunstschaffenden etwas hätten gestalten können… In Chemnitz haben wir zum Beispiel über das Bandbüro beim KOSMOS Festival oder auch auf der Musikmeile Chemnitz spielen dürfen. Das eröffnet für Jugendliche und Newcomer:innen natürlich krasse Möglichkeiten, wenn es vor Ort so ein Netzwerk gibt.

Lennart (Schlagzeug): Wir hätten uns das Rhein-Main-Gebiet nicht leisten können, weil wir uns für eine Wohnung hier wieder einen Job hätten suchen müssen. Wir wollten uns aber eigentlich auf unsere Musik konzentrieren. In Chemnitz kostet alles ein Drittel bis ein Viertel vom Rhein-Main-Gebiet und obwohl wir jetzt mitten in der Stadt wohnen, ist es billiger als in Lindenfels für uns. Deswegen haben wir uns gedacht, wir können es mal ausprobieren und wenn es uns nicht gefällt, können wir ja wieder wegziehen.

Für Bands aus dem Rock-Kontext ist es ja eher unüblich, nur zu zweit auf der Bühne zu stehen. Wie ist es bei euch dazu gekommen?

Lisa-Anna: Vor ELL haben wir schon in einigen anderen Bands zusammengespielt. Wir kennen uns aus der Schule und waren uns immer einig, dass wir eine ähnliche Band gründen wollen wie die Subways. Wir waren aber auch schon immer der Überzeugung: Scheisse, irgendwie fehlt uns noch eine Person an der Gitarre, wo es menschlich und vor allem musikalisch matcht. Da gab es zwar manchmal welche, aber die sind dann immer weggezogen oder so. Und irgendwann hat Lennart dann angefangen, Sachen zu löten und hat so ein Pedalboard gebaut, bei dem das Basssignal gesplitted wird.

Lennart: Ein Freund hatte mir ein paar Bands nur mit Bass und Schlagzeug gezeigt, wo ich nicht gedacht hätte, dass die keine Gitarre in der Band haben. Ich habe dann ein bisschen recherchiert, mich an meine Werkbank gesetzt und unser erstes Fußtreter-Switch-Gerät selbst gelötet.

Woher konntest du das? Und bedeutet das, ihr nutzt bei euren Live-Shows keine Backing Tracks?

Lennart: Ich habe Musikproduktion, Tonmeisterei und Klangregie studiert und hatte mich deswegen schon lange mit Tontechnik, Programmierung, logischen Signalflüssen und sowas beschäftigt, deswegen habe ich mir das so zusammengeschustert.

Lisa-Anna: Ich spiele quasi ganz normal Bass und ein Splitter teilt mein Signal dann in drei Teile, wovon zwei in jeweils einen Octaver gehen. Die Octaver können unterschiedliche Sounds kreieren. Der erste macht die Quinte und die Oktave zum Grundton, also einen Powerchord. Den zweiten kann man einstellen, wie man möchte. Der kann alle möglichen Intervalle – meistens mache ich dort aber, ähnlich zum ersten, die Oktave und dann die darüberliegende Quinte. Diese Signale gehen dann auch alle in unterschiedliche Verstärker, von denen für mich auf der Bühne drei Stück stehen: ein Bass- und zwei Gitarrenverstärker.

Lennart: Dazu kommen eben noch unterschiedliche Effektgeräte mit unterschiedlichen Charakteristika. Und das wiederum mischen wir vor den drei Verstärkern auch nochmal in verschiedenen Verhältnissen. So entsteht eben dieser große Bass-Sound.

Lisa-Anna: Backing Tracks benutzen wir keine. Ich habe nur eine Loop Station, die ich für ein paar wenige Songs nutze, aber ansonsten ist das alles live.

Lennart: Die Loop Station ist vor allem für Flexibilität in der Performance da. Also dass Lisa zum Beispiel einfach mal einen Loop laufen lassen kann, damit wir ein Interlude spielen, wo sie halt drüber reden kann und nicht die ganze Zeit spielen muss.

Lisa-Anna: Es wird dann zum Beispiel, während ich rede, ein Riff abgespielt, das ich vorher spiele.

Ihr nennt eure Musik „Krachpop“. Für mich klingt ihr eher nach Rock. Was bedeutet der Begriff?

Lisa-Anna: Klar, wenn man es nach diesen normalen Genres Pop, Rock, Metal usw. einteilen würde ohne die Subgenres, ist es klar, dass es in die rockige Richtung geht. Den Begriff „Krachpop“ haben wir gebildet, weil es unsere beiden Hintergründe darstellt. Lennart kommt eher aus dem Punk-/Rock-Bereich und ich eher aus dem Pop-Bereich, auch wenn ich mal eine Emo-Phase hatte. Der Begriff passt so gut, weil unser Ziel zwar schon ist, melodiöse Musik mit poppigen Zügen zu gestalten, die dann aber halt auch sehr laut und brachial ist.

Lennart: Uns war klar, dass irgendwie „Krach“ in den Begriff mit rein soll. Einmal, weil es ein deutsches Wort ist, aber auch, weil uns das früher im Odenwald immer so an den Kopf geworfen wurde, von wegen: „Ihr macht nur Krach, ihr könnt hier keinen Proberaum haben, das ist viel zu laut“. Also so als „Störfaktor“. Das ist ein Begriff, der sich irgendwie durch meine musikalische Karriere zieht. Dementsprechend habe ich auch Bock, das zu machen. Und der „Pop“ kommt meiner Meinung nach vom Songwriting. Das basiert nicht darauf, dass wir einen geilen, harten Rock-Song schreiben wollen, sondern wir schauen, wie wir die Facetten und unsere Bandbreite nutzen können, um unsere Gefühle und das, was uns beschäftigt, auszudrücken. Lisa kann ja von rotzig punkig bis klassisch opernmässig singen. Und auch bei den Schlagzeug-Grooves: Da ist ja auf dem Album von einem total doomigen Stoner-Sound bis hin zu einer angepoppten Nummer wie „Federleicht“ irgendwie so alles dabei. Und dann auch wiederum totale Gewalt wie bei „Deal“.

Am Donnerstag spielt ihr im Ponyhof Frankfurt, wo auch das einzige Mal auf der Tour Kim Hoss von eurem gemeinsamen Song „Mein Körper meine Entscheidung“ dabei sein wird. Euer neues Album ist dafür vor einigen Tagen pünktlich zur Tour erschienen – allerdings ausschließlich als Vinyl und CD. Wieso erscheint „langweilig“ erst im nächsten Frühjahr online?

Lisa-Anna: Wir wollten einfach mal was Anderes ausprobieren. Klar könnte man es auch auf die herkömmliche Vorgehensweise machen. Wir wollten aber noch einen zusätzlichen Grund schaffen, dass die Leute zu unserer Tour kommen. Außerdem verdient man eh nichts mit Streaming.

Lennart: …auch wenn das natürlich auch immer auf die Position ankommt, an der man sich gerade befindet. Wir sind halt eine kleine Newcomer-Band, die nicht gerade mit TikTok den nächsten Hit produziert hat. Wir machen halt unsere Musik und natürlich gehen wir damit auch nach außen, weil es sonst ja niemand hört, aber selbst dieser Ansatz reicht ja in diesem ganzen Social-Media- und Marketing-Game einfach nicht mehr aus. Sondern man muss die Algorithmen eigentlich so bedienen, wie die funktionieren, sonst hast du eigentlich keine Chance. Und diesem Hussel immer nachzukommen macht uns irgendwie nicht so wirklich glücklich. Wir haben irgendwann gemerkt: Wir versuchen die ganze Zeit, unbekannte Menschen zu erreichen. Dabei gibt es ja schon Leute, die uns kennen, cool finden, Tickets für uns kaufen und am Start sind. Warum kümmern wir uns nicht um die?

Lisa-Anna: Und geben ihnen auch was zurück – hoffentlich.

Lennart: Und setzen gleichzeitig ein Zeichen, dass dieses „dem Algorithmus hinterherrennen“ auf Dauer einfach nicht gesund ist. Und klar machen wir für unsere erste eigene Tour auch Marketing, damit neue Leute da hinkommen. Aber wir wollen uns auch auf jeden Fall um die kümmern, die halt kommen und wirklich Karten im Vorverkauf kaufen, was gerade wirklich niemand mehr macht. Aber es gibt Leute, die tun es, und das sind aus unserer Sicht gar nicht so wenige. Und denen wollen wir was zurückgeben.