Eine überaus gelungene Indie-Rock-EP aus Darmstadt.
„Take me up from the underground, up to a place where the clouds are far behind…“ Eine angenehme aber nicht langweilige Harmonik, lang gehaltene Töne der Kopfstimme und ein Zusammenspiel der beiden Gitarren, die sich mit ihrem leichten Zupfen und gefühlvollen Spielen der Akkorde vollkommen zu ergänzen scheinen, lassen den Zuhörer ganz entspannt eintauchen in den musikalischen Fluss der Band Rooftop Riots. Der Titel des Songs fasst Musik und Text perfekt zusammen: „Daydream“. Auch der Spannungsbogen gibt sich dieser Atmosphäre der Gelassenheit: Nach einem ausgiebigen Intro und der ersten Strophe braucht der Refrain in einem Pre-Chorus erst zwei Anläufe, bis er schließlich komplett ins Rollen kommt. Nach einem abermals sehr entspannten Zwischenspiel (und inzwischen 2 Minuten Spiellänge), bringt schließlich das Schlagzeug etwas Leben in die Stimmung und verhindert, dass der Zuhörer sich komplett dem „slowly down sinken“ hingibt, wie es so schön vor dem Refrain heißt. Gegen Ende, im Pre-Chorus, blüht die Musik dann plötzlich immer weiter auf und entwickelt sich bis hin zum kraftvollen Finale im zweiten Chorus, wobei die Musik nie angestrengt oder aggressiv klingt – ich denke leidenschaftlich trifft es hingegen ganz gut. Der Klangteppich der beiden Gitarren, die Stimme des Sängers und nicht zuletzt die sehr schöne zweite Stimme (wenn sie denn zu hören ist) sind großartig und harmonieren hervorragend miteinander.
Seit Herbst 2016 gibt es die Darmstädter Band. Letzten Sommer veröffentlichten die fünf Jungs, die sich alle größtenteils aus ihrem Studium kennen, dann ihre erste EP mit dem Titel „Sprint Project“. Sie umfasst fünf Titel und eine Spielzeit von knapp 20 Minuten. Doch auf ihren Konzerten spielen sie längst nicht nur eigene Lieder, auch Coversongs werden gerne in die Setlist mitaufgenommen – von Kings of Leon bis hin zu Jazz. Die Band selbst ist dabei mit ihren eigenen Songs wohl irgendwo im Indie-Rock-Lager einzuordnen, mit einem gelegentlichen Touch von Alternative-Rock.
Auch der erste Song der EP („Out of Control“) ist ein sehr gechillter Song, der zwar durch die stärkere Präsenz des Schlagzeugs nicht ganz so ruhig und verträumt wie „Daydream“ wirkt, jedoch mindestens genauso entspannt in seiner Ausdrucksweise ist. Zu dem Gitarren-Klangteppich und den langgehaltenen Tönen der Kopfstimme, die zusammen wieder eine ähnlich relaxte Atmosphäre hervorbringen wie bei „Daydream“, kommen hier gut gesetzte Breaks und eine durchaus interessante Harmonik im Refrain dazu. Insgesamt möchte man bei der Musik einfach nur mit einem Strohhut und einem Drink auf einer warmen Festivalwiese liegen und sich ausschließlich den entspannt, sehnsüchtigen Klängen und der warmen Sommersonne hingeben…
Doch die Band kann auch anders. Mit „GO“ und „Little Bitch“ bringen sie zwei härtere Songs, die im Kontrast zu den ersten zwei Titeln stehen. Aggressive Gitarren-Riffs, starke Fill-Ins des Schlagzeugs und auch das Verwenden von „Bluenotes“ lassen die EP zur Mitte hin richtig „rockig“ aufleben. Die verzerrten Gitarren ballern schön nach dem ruhigeren Start der EP – genau so soll es sein. Gerade diese beiden schnelleren Songs funktionieren auch live sehr gut und überzeugen das Publikum. Hierbei spielen wohl maßgeblich die Refrains zum Mitsingen und die grandiosen Breaks bei „GO“ eine wichtige Rolle. Aber auch das Gitarrensolo bei „Little Bitch“ und das etwas kleinere Solo bei „GO“ passen gut in das Soundbild, das inzwischen sehr nach Alternative-Rock klingt. Der Sänger singt teilweise mit schön rockig, kratziger Stimme und in „Little Bitch“ wird kurz gescreamt.
Mit dem fünften und letzten Song endet das Sprint Project mit einem würdigen Closer. Walk The Line verbindet die ruhigeren Elemente wie den Gitarren-Klangteppich aus den ersten beiden Liedern mit einem schnelleren Tempo und einem etwas härteren Sound im Refrain, wie man es aus den beiden anderen Songs der EP kennt. Es erinnert von der Komposition her etwas an „Out of Control“, wirkt jedoch durch den Sound im Chorus härter – starke Präsenz der Gitarren mit aggressiven Akkorden, die jedoch von einem Gesang in Zaum gehalten werden, der druckvoller als beim ersten Song der EP ist und ohne Kopfstimme arbeitet. Doch auch mit Bruststimme ist der Gesang klar und verliert auch in höheren Lagen nicht an Kraft oder Ausstrahlung. „Walk The Line“ beginnt mit einem langen Vorspiel der beiden Gitarren. Sie funkeln und glitzern um die Wette und lassen den Hörer nach den zwei härteren Liedern wieder etwas runterkommen, bevor es mit einem Schlagzeug, das straight nach vorne zieht, im ersten Vers weitergeht. Dadurch und auch durch das schnellere Tempo wird verhindert, dass der Song in eine ähnliche Sphäre wie „Daydream“ abdriftet. Das hätte zwar auch seinen Charme, doch beweisen Rooftop Riots spätestens im Refrain dramaturgisches Fingerspitzengefühl: In einem großartigen Zusammenspiel vermischen sich hier die entspannte Atmosphäre der zwei ersten Songs mit einer kraftvollen Stimme, die auf einen harten Sound aus Gitarren-Akkorden trifft, wie es in den weiteren zwei Liedern der EP zu hören war. Das Endergebnis klingt allumfassend und perfekt im Klangkosmos der Band. Die Lead-Gitarre kündigt den Chorus mit einem kurzen Einwurf an und sticht auch während des Refrains mit diesen und weiteren „Gute-Laune-Motiven“ immer wieder heraus. In den Strophen sorgt sie für die nötigen Harmonien, die von einem sehr „coolen“ Bass (anders kann man es nicht sagen) begleitet werden. Im Outro wird noch einmal ein markantes Motiv aus den Strophen aufgegriffen und so endet die EP träumerisch und mit einem verzerrten Moll-Akkord der Gitarre.
Nicht nur die Komposition, auch die Produktion der EP macht einen professionellen Eindruck. Die Soundqualität ist außerordentlich gut und wirkt sehr klar – die EP hört sich keinesfalls nach der ersten Veröffentlichung einer Band an (weder soundtechnisch noch musikalisch). Das Mastering lässt nicht zu wünschen übrig; außer vielleicht bei der leisen zweiten Stimme in „Daydream“, mit der aber leider ohnehin recht sparsam umgegangen wurde. Der Wunsch nach häufigerem mehrstimmigen Gesang ist aber auch nahezu der einzige Kritikpunkt für mich. Ansonsten ist „Sprint Project“ sehr schön zu hören; ob digital oder live. Die Songs sind gut strukturiert und weisen, wie auch die EP als Ganzes, einen guten Spannungsbogen auf. Es gefällt mir, wie die Songs aufeinander aufbauen; wie „Daydream“ durch „Out of control“ stimmungstechnisch vorbereitet wird, wie die Breaks bei „GO“ eine schöne Abwechslung nach den zwei eher entspannteren Songs sind und wie das Solo bei „Little Bitch“ der Höhepunkt der rockigen Ekstase ist, die sich in den zwei härteren Liedern entwickelt.
Mit dem Klangbild des letzten Songs wirkt die EP in sich geschlossen, gleichzeitig macht sie aber mit dem unbestreitbar eigenen Sound der Band Lust auf mehr. Rooftop Riots zeigen, dass sie mehr als verträumte, leichte Rock-Musik zum Entspannen können und beweisen, dass guter Rock mehr ist, als harte Gitarren-Riffs, die in’s Ohr gehen. Mal ist ihre Musik direkt und hart, mal ist sie entspannt und ruhig. Doch ihr wehmütiger, rockiger Sound ist unverkennbar und gerade das zeichnet sie aus und hebt die Band als Newcomer ab. Gerade zu Beginn einer Bandkarriere ist es nicht leicht, den eigenen markanten Sound in’s Klanggerüst seiner Musik zu etablieren, doch den Rooftop Riots ist dies bereits gelungen.
Wer also Bock auf chillige Rockmusik hat, die aber mal auch durchaus etwas härter werden darf und auf Musik, die nach Sommerluft und relaxten Festival-Flair schmeckt, der ist bei den Rooftop Riots genau richtig.